Wenn ich gut schreiben könnte, wäre ich Schriftsteller geworden, sage ich immer. Aber ich versuche, trotzdem mal aufzuschreiben, was war. Auf jeden Fall haben wir ziemlich viele Filmrisse, denn es ist einfach unmöglich, sich alles von einer 650 Kilometer-Tour zu merken. Eigentlich wollte die Alex Grabowski ja auf der Fahrt Tagebuch schreiben. Das sagte sie am Tag nach der Ankunft. Dann hätten wir jetzt alles genauestens, dafür hätte die Fahrt dann noch länger gedauert… und zumindest ich habe nicht erwartet, dass wir nach der Tour nach einem Bericht gefragt werden, also … just live for the moment ;-)
3.300 Höhenmeter auf 650 Kilometer: ich war angefixt
Andreas Grallas Plan mit München stand schon sehr lange. Alex und ich haben das mitbekommen und wollten gerne mit, wobei wir gesagt haben, mal schaun, wie lange wir das Tempo mithalten können, vielleicht fahren wir zwischendurch alleine weiter, vielleicht drehen wir um, vielleicht setzen wir uns in die Bahn. Ich war vor allen Dingen angefixt durch die schönen 3.300 Höhenmeter auf 650 Kilometern. Auf Andreas Bild der Garmin Routenplanung sah man so schön, wie es bis München die ganze Zeit hoch geht.
Andreas wollte mit der Fahrt wieder alles Vorige in den Schatten stellen. Alex wollte zuerst auf keinen Fall mit kommen, weil sie keine Lust auf Schmerzen hatte. Wie Frauen so sind, änderte sie ihre Meinung, wollte das Abenteuer nicht verpassen und auf jeden Fall dabei sein. Trotz der widrigen vorhergesagten Wetterverhältnisse entschieden wir uns, zu fahren, da wir ja nicht aus Zucker sind und da es schwierig gewesen wäre, einen neuen Termin zu finden, an dem wir alle Zeit haben.
Gesagt, getan. Ziel: In München ankommen
Das hatte für uns die oberste Priorität, das Tempo war uns egal. Wir wollten die Hügel gemütlich fahren und in der Ebene nicht schneller als 27km/h sein, wir waren jedoch letztendlich doch öfter mal schneller. Andreas und ich haben uns unser Gepäck an eine DHL-Packstation in Hotelnähe gesendet. Alex entschied sich für zusätzliches Gewicht und nahm lieber den Gepäckträger mit Ortlieb-Tasche.
Als endlich der große Tag gekommen war, trafen wir uns in Oberbilk um 6:30 Uhr morgens. Alex kam 5 Minuten zu spät und entschuldigte sich: „Sorry, ich hab gerade eben meine Tage bekommen“. Nicole: „Oh, ich eben auch“. Und los ging es! Die Fahrt verlief zum Glück sehr unspektakulär (bis auf literweise Regen und Wind, der von München aus in Richtung Düsseldorf wehte) und wir hatten auch zum Glück keine Pannen. Erst sind wir sehr lange am Rhein entlang gefahren. In Köln wollten wir frühstücken und haben an einer Tanke angehalten, da kam auch schon der erste Regen, den wir untergestellt abgewartet haben, um nicht direkt auf den ersten Kilometern schon komplett nass zu werden.
Nächstes Highlight: Belgischer Kreisel mit 3 Sportstudenten
Die drei fuhren genau denselben Weg wie wir, wir überholten uns immer wieder gegenseitig. Da haben wir uns einfach zusammen getan und uns im Windschatten abgewechselt. Die Jungs verwendeten genau dieselben Handzeichen wie wir und es war sehr angenehm, mit ihnen Gruppe zu fahren. Irgendwo fing es wieder an zu regnen, sodass wir wieder klatschnass wurden. Als wir wieder getrocknet waren, machten wir mit den Jungs Pause in Koblenz zum Pizza- und Schnitzel essen. In Bingen (schon wieder seit langem klatschnass) verließen sie uns und wir fuhren alleine weiter.
„Kopfsteinpflasterfeldweghügel“ mit „Dönertellerpause“
Schon interessant, die Landschaft mitten in Deutschland. Wir hatten den Rhein schon länger verlassen uns bot sich ein Terrain von hügeligen Feldern mit Feldwegen, die mit Riesenkopfsteinpflaster wie aus dem Mittelalter gepflastert waren, abwechselnd mit Schotterpisten. Und das für gefühlte 200 Kilometer. Wenn man die Feldwege in Düsseldorf und Umgebung kennt, sind diese Kopfsteinpflasterfeldweghügel einfach unvorstellbar. Zum Glück sind wir dort wenigstens nicht hungrig angekommen, irgendwann vorher war noch unsere Dönertellerpause, bei der wir noch oder wieder sehr nass waren.
In der Nacht gab es noch mehr Stolpersteine, viel Herumgekurve über kleine Wege in Städten, noch mehr Schotter und sogar Straßen mit sehr tollem Asphalt. Es war gar nicht so lange dunkel, von 22:30-4:30, also 5 Stunden, alle Lichter haben gehalten. In der Nacht wollten wir in dem kleinen Örtchen Freinsheim in Rheinland-Pfalz mal wirklich nur 5 Minuten absteigen, haben dort jedoch den super-netten Kellner Ahmad kennen gelernt, der ebenfalls Rennradfahrer ist und der uns Kaffée, Espresso und Latte Macchiato ausgegeben hat. Mit ihm sind wir dann kurz in Gespräche versunken. Die Nacht war insgesamt eine schöne Abwechslung, und als es wieder hell wurde, ebenso. Es ist schön, dass wir viele Höhenmeter in der Nacht gefahren sind und wir sie somit nicht so weit im Voraus gesehen haben.
Gefrühstückt haben wir beim Bäcker, mit noch sehr vielen übrigen Kilometern. In Stuttgart war unsere geplante Route wegen sehr vielen Baustellen nicht mehr gut fahrbar, wir haben durch Stuttgart eine gefühlte Ewigkeit gebraucht. Daher haben wir in Stuttgart unser Hotel umgebucht, um auch noch später einchecken zu können.
Nur noch 200 Kilometer bis München – Oh mein Gott!
Besser nicht auf den Wahoo gucken. Die meisten Höhenmeter standen uns an dieser Stelle noch bevor. Einfach fahren, fahren, fahren und die Beine kreiseln lassen. Nass, trocken, nass, trocken. Die superschöne Landschaft genießen, irgendwann wieder klatschnass werden. Andreas hielt es für eine gute Idee, klatschnass an einem Supermarkt einen Hähnchenstopp einzulegen. Essen ist sowieso immer eine gute Idee! Der letzte Platzregen war echt unnötig, wir waren grade soo schön wieder getrocknet. Nach dem Hähnchenstopp waren es nur noch 140 km! Ich wollte unbedingt schnell unter 100 Kilometer kommen, um den Countdown bis nach München einzuläuten, dazu erstmal ballern und ein bisschen Gas geben, auch über die Hügel. Gezogen hat sich die Strecke trotzdem.
Nur noch 100 Kilometer!
Endlich waren es nur noch unter 100 Kilometer! Auf den nächsten 60 Kilometern bot sich uns eine wunderschöne bayerische Hügellandschaft, die echt Spaß gemacht hat.Die letzten 40 Kilometer war es wieder dunkel, weil Alex und ich irgendwie jede Pause etwas länger genossen haben, die Fahrt sollte, ja, auch genussvoll sein. Sie zogen sich meinem Empfinden nach wieder uuuuuuuultra lang, wie Kaugummi und es kam mir vor, als ob es nur noch bergauf ging, obwohl der Wahoo Null Prozent Steigung angezeigt hat. Alex und Andreas pflichteten bei: es ist flach. Okay, ich bin halt die letzten 40 Kilometer gefühlsmäßig nur noch bergauf gefahren. Und es zooooooog sich und war landschaftlich sehr, sehr uninteressant. Dann bekam ich auch noch Hunger und die Trikottaschen waren leer. Weit und breit war keine Tanke und kein Supermarkt zu sehen… Andreas und Alex hatten auch nichts mehr. Die Erlösung: Eine Tanke 8km vor der Packstation – eendlich 2Riegel gekauft, zum Glück hatte ich noch keinen Hungerast.
Die Erlösung: eine Tanke und die Packstation
Die Erlösung: eine Tanke 8 Kilometer vor der Packstation – endlich 2 Riegel gekauft, zum Glück hatte ich noch keinen Hungerast. Und dann: endlich an der Packstation die Sachen in Empfang nehmen, endlich aus den vor Dreck schmirgelnden Rennradschuhen raus, frische Socken an die 20 Stunden eingeweichten Füße und in die Nike Free schlüpfen. Was für eine Wohltat! Mit Wasser aus den Trinkflaschen haben wir unsere Räder abgespült und mit Babyfeuchttüchern brachten wir sie fast auf Hochglanz. Das Gefühl, anzukommen, war nie vorher so schön! Andreas machte die Zimmer klar und wir schmuggelten die Rädchen rein auf die Zimmer. Wir hatten keine Lust mehr, draußen herum zu laufen und verabredeten uns zum
Stadtrundfahrt in München, dann Rückfahrt mit der Bahn nach Düsseldorf
Frühstückstreffen am nächsten Tag um halb 9. Danach schwangen wir uns wieder auf die Räder, um München anzugucken. Bis 22 Uhr abends waren wir unterwegs, wenn man schon mal in München ist, will man das ja auch richtig ausnutzen. Wir hatten sogar schon wieder Lust, mit den Rädern zurück zu fahren und mit Übernachtung zu ballern, dann hätten wir die Welt von beiden Seiten gesehen! Ich liebte auch schon wieder meine Rennradschuhe, die ausgewaschen und geföhnt nicht mehr schmirgelten. Leider hatten wir alle jedoch Termine am Montag und sind daher nach einer weiteren Übernachtung sonntags mit der Bahn zurück gefahren, mit dem Quer-durchs-Land-Ticket, mit dem wir nur ca. 26€ pro Person inklusive Fahrrädern gezahlt haben und das man einfach spontan vor der Fahrt kaufen kann.
Was habe ich aus der Fahrt nach München gelernt?
Die Alex kam über 30 Stunden in den Genuss, den lieblichen Klängen von zwei DT Swiss ERC 1400 Freiläufen zu lauschen, wobei einer von der Sorte ja schon laut genug ist. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass 2mal dasselbe Freilaufmodell wenigstens ein harmonischeres Klangbild ergeben, als wenn es auch noch 2 verschiedene mit völlig unterschiedlichen Klängen wären. Learning Nummer 1: Wir könnten eventuell vor der nächsten längeren Tour unsere Freiläufe fetten.
Ich hatte keine „Arschrakete“ wie Alex und Andreas dabei und alles in die Trikottaschen gestopft. Auf Dauer hat man das Gewicht dann doch gemerkt und, oh man, ich wusste doch vorher, dass es die ganze Zeit regnen wird, wie konnte ich nur auf die Idee kommen, das Schutzblech zu Hause zu lassen, nur weil es scheiße aussieht? Gefühle die ich gar nicht kannte, weil ich zu Hause sonst nie ohne Schutzblech fahre: Klatschnasses Polster der Hose über mehrere Stunden mit schmirgelndem Dreck. Andreas und Alex waren da besser gestellt, da ihre Riesentaschen gleichzeitig eine Schutzblechfunktion hatten. Zudem hatte Alex eine Wechselhose dabei in ihrer wasserdichten Ortlieb Tasche und Andreas hatte all seine Zusatzkleidung in Plastik-Zipbeuteln. Schon sehr, sehr schlau, die Beiden, aber gut, dass ich mir das fürs nächste Mal merken kann! Learning Nummer 2: Verpacke deine Klamotten wasserfest und nimm Sachen zum Wechseln mit
Schwimmhäute, die man aus dem Schwimmbad kennt, haben jetzt auch eine ganz neue Bedeutung für mich. 20 Stunden eingeweichte Füße sahen schon eklig aus, aber schon am übernächsten Tag waren sie wieder schön, deshalb werde ich im Sommer weiterhin keinen Regenschutz über die Schuhe machen. Als letzten Punkt haben Alex und ich nach der Fahrt plötzlich sehr großes Interesse an vernünftigen Regenjacken entwickelt, Andreas jedoch war da wie immer bestens ausgestattet. Learning Nummer 3: Trotz Klimawandel sind Regenjacken immer noch wichtig
Wir haben die ganze Zeit überlegt: Was sind die Vorteile und die Nachteile von so einer langen Tour?
Nachteile
- Bericht schreiben, obwohl man in der Zeit auch Rad fahren könnte *Scherz*
- Wir waren uns einig, dass wir von so einer langen Tour keinen wirklich positiven Trainingseffekt erwarten können, sondern eher sogar einen Trainingsrückschritt, wir sind also nur aus reinem Spaß so weit gefahren. Der Trainingsrückschritt ist jedoch letztendlich ausgeblieben, weil wir so langsam gefahren sind, dass die komplette Fahrt eine Grundlagenausfahrt war.
Ganz ehrlich: die Vorteile überwiegen haushoch, wir sind froh, diese Erfahrung gemacht zu haben
- Landschaft quer durch Deutschland genießen
- Ein Wochenende in München verbringen
- eigene Grenzen austesten
- Schitzel und Dönergenuss ohne schlechtes Gewissen
- 100 Kilometer-Touren sind nachher ein Klacks und Touren im Regen sowieso, zumindest sehe ich das so