Zu viert gegen das Motivationstief

Düsseldorf300 in der Self-Supported Edition

Kurzer Rückblick in das Jahr 2019: Der Cycling Club Düsseldorf initiiert mit der Schicken Mütze die Düsseldorf300 – Eine 300km Rundfahrt ohne Wettbewerb mit satten Höhenmetern rund um Düsseldorf, bei einer Hitze von über 30° Grad Celsius. Die eigene Teilnahme endete nach knapp 239 Kilometern mit einem Abbruch. Starke Schmerzen im Kniegelenk. DNF. Sterne vor Augen. Frust. Enttäuschung.

2021: Ein ganzer Tag im Sattel – Die Self-Supported Edition

Juni, 2021: Zwei Jahre später veranstaltet der CCD nach der Corona-Pause im Jahr zuvor wieder die beliebte Marathon Rundfahrt ohne Wettkampfcharakter, dafür aber mit den gleichen Anforderungen an die Fahrer mit Hang zur sportlichen Selbstkasteiung: 300 km mit ca. 1.580 Höhenmeter stehen auf dem Plan und wollen absolviert werden.
Der Unterschied: Aufgrund der Pandemie entscheidet sich der CCD lediglich, den Track zur Verfügung zu stellen, ohne offizielle Streckenorganisation oder Verpflegungsstellen wie im ersten Veranstaltungsjahr. Pausen, Wasser, Energieriegel etc. müssen also in Eigenverantwortung selbst organisiert werden. Teilnehmer, die noch ein Anmeldeticket aus 2020 besitzen, erhalten nach Vorlage des absolvierten Tracks ein Finisher-Goodie.
Dieses Jahr muss dieses kleine Monster gebändigt werden. Voll motiviert und in der Hoffnung gut vorbereitet zu sein, starten wir zu dritt die Langstreckenrundfahrt um Düsseldorf in den frühen Morgenstunden. Es gibt keine Zeitvorgabe, keine angestrebte Durchschnittsgeschwindigkeit und auch erstmal keine gute Laune. Dafür ist es einfach zu früh, und die erste Espresso-Pause noch zu weit weg.
Start in den frühen Morgenstunden

Start in den frühen Morgenstunden

Nach ca. 60 km der erste technische Defekt beim Teamkollegen: Die Ultegra Di2 reagiert nicht mehr am hinteren Ende. Der Gang schaltet nicht. Alles geprüft, keine Ursache festzustellen. Die Truppe wird nervös. Die Batterie ist voll. Die Schnauze auch. Irgendwie löst es ein manuelles Umwerfen der Kette vorne auf das kleinere Blatt. Die Di2 erwacht aus dem kurzen Dornröschenschlaf. Wir fahren erleichtert weiter.

Das erste 1/3: Aus drei mach vier

Nach dem ersten absolvierten Drittel gönnen wir uns eine Pause in einem Café. Cappuccino, Laugenstange, ein Pott furchtbarer Filterkaffee, Kuchen & Cola stillen nach den abgehakten 100 km die ersten Bedürfnisse. Wir merken schnell, dass die bittersüße Rast Fluch und Segen zugleich sein kann und satteln die drei Velos wieder, bevor die Beine den Urlaubsantrag einreichen.
Es wird ordentlich gekurbelt, die Kilometer purzeln und die Höhenmeter werden Stück für Stück abgearbeitet. Die Stimmung ist gut, und man versucht, das Große und Ganze im Blick zu behalten, d.h. Sprints oder Bergausreißereien bleiben weitestgehend aus. Das kleine Peloton genießt die Strecke und freut sich über „alte Bekannte“, wie Anstiege hoch zum Langenberger Sender, die Bestandteil der Streckenplanung sind. Es läuft alles wie eine frisch geölte Kette, bis Kilometer 130. Stopp. Ein Teamkollege kann nicht weiter. Verdammt. Sattelprobleme. Ein Blick in die Augen: Es ist klar, ab hier müssen wir zu zweit weiter.
Lieber keine Ausreißversuche...

Lieber keine Ausreißversuche…

Die Wege trennen sich, und wie vom Veloschicksal bestimmt, fahren an dem zerschmetterten 2-er Gruppetto in diesem Moment zwei weitere CCD Vereinskameraden vorbei, zu denen wir aufschließen können. Freude über die Zusammenkunft und Trauer über den Abschied können nicht näher beieinander liegen.

Im Vierer-Tross greifen wir also die zweite Hälfte der 300km-Etappe an. Mit neuer, aber veränderter Motivation rollen die Pneus über den Asphalt, quetschen sich in Schlaglöcher an Tümpeln und Seen vorbei und lassen Kilometer für Kilometer hinter sich. Die Salzränder auf den Trikots sind schon lange Gast auf den Rücken, der Teamkollege vor mir hat sogar ein eigenes Batik-Design entwickelt. Kann man dem Vorstand mal vorschlagen.

Der Zwischenboss: Die Mittagspause

Langsam wird es zäh. Die Idee einer größeren Mittagspause trifft bei allen auf Zustimmung. Die 200 km sind geknackt und der Hunger ist groß. Eine zünftige Gaststätte ist gefunden: Grillteller, Kartoffelecken, überbackener Feta, Schnitzel, Steak, Gyros und Salat, der in Kalorienbomben-Dressing eine Choreographie schwimmt – Herr Ober, bringen Sie uns einfach alles was sie tragen können, und das 2 Mal. So oder so ähnlich war der leichtsinnige Sportler-Wunsch, aber jeder hält sich zurück und ordert nur ein Gericht. Bratkartoffeln mit zwei Spiegeleiern und ein Malzbier nehme ich. Das ist gut. Das ist leicht. Das bestelle ich.
Wenn ich mich aus dem linken Pedal ausklicke, übergebe ich mich dann rechts über die Schulter oder links? Zurück auf dem Rennrad ist das der einzige Gedanke, den mein blutunterversorgtes Gehirn fassen kann. Ich bekomme den Puls nicht höher als 130 bpm, dafür aber gefühlt 3 ATÜ Druck in der Magengegend. Guter Deal. Es war ein feinster Schmaus und jetzt ist mir feinst speiübel. Zu viel, zu fettig, zu falsch. Lesson learned.
Zu viert gegen das Motivationstief

Zu viert gegen das Motivationstief

240 km haben wir absolviert, und ohne meine Teamkameraden wären die letzten 40km davon nur schwer möglich gewesen. Der Windschatten und die motivierenden Worte retten mich über das Super-Tief hinweg, und wir fahren auf die Halde (Allrather/Vollrather Höhe) zu. Mein Zustand erholt sich während des Pedalierens langsam wieder, und der Respekt vor dem kleinen Biest auch. Normalerweise ist der Hügel keine große Sache. Ca. 100 HM Anstieg. Hausrunde. Aber nach so vielen Kilometern in den Beinen und der kulinarischen Eskapade bleibt die Euphorie verhalten.
Wir sind da. Mist. Halbherziges Schieben des kleinen, linken Schalthebels. Wechsel aufs kleine Blatt. Die Ultegra auf meinem ROSE ist seit Jahren ein Arbeitstier und verrichtet tadellos Ihren Dienst. Schon den ganzen Tag nimmt sie mein unsauberes Schalten leise und zuverlässig entgegen.

Es läuft, sogar besser als ich dachte. Oben angekommen aufatmen. Erlösende Abfahrt. Die Halde mag mich. Ich mag sie auch.

Die letzten Kilometer zurück nach Düsseldorf, vorbei am Neusser Sporthafen in Richtung Fleher Brücke, fliegen nur so an uns vorbei. Das Ziel ist zum Greifen nahe, die langsam eintretende Dämmerung auch. Wir trödeln nicht und treten mit letzten Kräften aber bestimmt in die Pedale, um vor der Dunkelheit zu Hause zu sein. Wir erreichen den Startpunkt und sind erschöpft aber zufrieden am Ziel – Check: 300 Kilometer. Check: Glücksgefühl.
Rückkehr vor der Dunkelheit

Rückkehr vor der Dunkelheit

Herzlichen Dank an den CCD für die 1A Streckenplanung, an meine Mitstreiter (chapeau!) Torsten Lücke, David Tschirch, Andreas Gralla, Ralf Wismann und an die 300 Mücken für die schlaflose Regeneration danach.
Mein neues Leibgericht: Kartoffeln mit Spiegelei.
Fabian De Salvo
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