Gemeinsam mit 3 Rennradfreunden werden im Oktober 2017 Startplätze für die L´Etape du Tour 2018 ergattert. Die Veranstaltung ist nach sehr kurzer Zeit ausverkauft: Nach 4 Stunden sind alle Plätze weg. Ab jetzt geht es los mit dem Training für eines der größten Radsport Sportivs auf der Welt mit 15.000 Teilnehmern jährlich. Im August 2017 wird mein Sohn geboren, meine Tochter ist zu diesem Zeitpunkt 1,5 Jahre…super Timing. Mit Schlafdefizit, Indoor Einheiten auf Trainierroad, Pendeln zur Arbeit und der sehr frühen Sonntagsausfahrt „S(unday) S(unrise) R(ide)“ soll die Fitness aufgebaut werden um solch eine Mammutetappe mit 169 Kilometern und 4016hm in ansehnlicher Zeit zu bewältigen.
Es kommt immer anders als geplant
Im Dezember und Februar bekomme ich nach guten Fortschritten zweimal eine dicke Erkältung mit Fieber. Schlafentzug und harte Intervalle harmonieren nicht gut. Jeweils 3 Wochen Pause zerstören gefühlt jeden Fortschritt. Anfang März stehe ich an dem Punkt ob ich es überhaupt noch schaffen kann die benötigte Fitness aufzubauen? Mit der Unterstützung meiner Frau wird der Mittwoch Vormittag als zusätzlicher Trainingstag möglich und ich fange ebenfalls an vor der Arbeit eine „längere“ Runde über Krefeld zu fahren. Es geht auch zu STAPS nach Köln zum Leistungstest, mein Trainingsplan wird dort ebenfalls abgesegnet.
Sonntag, der 8.7.2018 7 Uhr
Frankreich, Annecy Block 11 von 15. Jeder Block hat 1000 Starter….unfassbar eindrucksvoll. Mein Systemgewicht ist 100KG, also Rad mit Flaschen und Ersatzteilen. Angespannt stehen wir im Startblock, oder sollte ich lieber sitzen wir sagen! Gerade noch beim Einlass einen guten Platz für unsere Räder gefunden. Wir sind leider nur 3 von 4. Henning hat es leider nicht geschafft nach langer Krankheit fit zu werden. Sehr schade. Aber im Oktober fahren wir 4 in Münster flach und schnell.
Am Start: noch ist uns zum Spaßen
Jetzt liegen wir rum, machen nervös Witze und bestaunen die anderen Festkas, Colnagos und Madones. Auch ein Stahlrad wird gesichtet…. der Fahrer sieht aber sehr kompetent und unfassbar austrainiert aus. Ein Gedanke bleibt: Was mache ich hier überhaupt. Der See ist himmelblau, die Luft riecht nach Hochsommer. Lass uns doch einfach Schwimmen gehen.
NEIN!
Wir fahren das jetzt und haben total Spaß bei 169 Kilometern und 4016 Höhenmetern. Schon total bekloppt. Schafft man aber wenn man den Winter regelmäßig trainiert und dann im Frühjahr die Zügel etwas anzieht. Und los gehts. Gesperrte Straßen. Das Tempo am Anfang ist mir viel zu langsam. Es pendelt um die 30 Kilometer pro Stunde. Da hatte ich in jedem Rennbericht immer gelesen es geht immer mit viel Druck und schnell los…..Fehlanzeige. Naja, dann genieße ich mit Gino und Ricardo die Fahrt zum ersten Anstieg am See von Annecy entlang. Ein Traum für alle Rennradfahrer. Auf der Straße links an der Leitplanke am See entlang. Kein Hupen, fast keine Motoren (ausser den Gendarmen die ab und zu vorbeifahren um Streckenposten zu verschieben) und leises surren der Ketten.
Das ist die pure Lebensfreude eines Rennradfahrers
Langsam im Flachen….das ist nicht mein Ding. Nach kurzem Austausch mit Ricardo und Gino ziehen wir etwas an und suchen eine Gruppe, welche wenigstens 35 Km/h fährt. Diese wird aber nicht gefunden und wir fahren auch schon in den ersten Anstieg: den Col de la Croix Frix (11,8 Kilometer 7%). Es soll heute der angenehmste Anstieg werden. Die Temperatur steigt im Anstieg auf 30 Grad an und mich beschleicht langsam das Gefühl, dass meine ach so geliebte Wattanzeige am Rad. Ja der Parameter, welcher all mein Training bestimmt hat in den gesamten letzen 10 Monaten heute mal zu nix zu gebrauchen ist.
ES IST HEIß!
Die Sonne brennt und im Übergang zur Talabfahrt genieße ich den kühlenden Fahrtwind. Jetzt wartet der Scharfrichter auf mich: das Plateau des Gilieres (6,2 Kilometer mit 11,8% Steigung). Hierfür habe ich die letzten Monate etwas spezieller trainiert. Unter 50 Minuten ist mein Ziel. Im Tal schon 30 Grad. Die Straße wir aprupt enger. Maximal 5 Fahrer passen nebeneinander. Juhu, die Buckelpiste wurde wenigstens noch mit feinstem Asphalt geteert! Und es gibt sogar Schatten, da die Strecke lange durch den Wald führt. Die nächsten 6 Kilometer werden das härteste was ich jemals auf dem Rad gemacht habe. Mein Durchschnittspuls im gesamten Anstieg ist 174 Schläge und das für 45 Minuten. Dabei sind die Beine gar nicht so das Problem. Die fühlen sich ganz gut an. Es ist die Hitze! Im Anstieg erreicht die Temperatur 40 Grad. Ich schaue ungläubig auf meinen Radcomputer. Ja 40 steht da. So fühle ich mich auch. In den letzten 5 Minuten bei den sonst moderaten 250 Watt (Das ist unter normalen Bedingungen bei mir Grundlagenausdauer 2) ist mir erst langsam die ruhige Atmung ausser Kontrolle geraten und jetzt pocht meine Schläfe. Ich muss langsamer fahren sage ich mir. Doch genau nach der Erkentniss fällt der Schatten weg. Bis zum Gipfel sind es noch 3 Kilometer und ich stelle das Überholen ein und fahre mit dem Strom. Das Überholen kostet bei wenig Platz und 11 % extrem Körner und ist immer ein Belastung welche ich nach den vielen SSR Fahrten am Sonntag eigentlich gut kenne. Laktatspitzen eigentlich meine Freunde. Aber nicht bei 40 Grad.
Der Radlerstrom an solch einem Anstieg ist speziell. Rechts sollten ja die langsamen fahren und alle die schieben. Und davon gibt es unzählige. Das Problem ist: Viele übernehmen sich so sehr im Anstieg, dass Rechts und Links nicht mehr unterscheiden können. Man sieht es sehr genau wenn jemand gleich „platzt“. So auch der Mann neben mir in Kilometer 3 von 6. Mittleren Alters. Gut durchtrainiert. Sehr wenig Fett….da habe ich wesentlich mehr. Muss stehen bleiben am Rand. Klickt mit letzter Kraft aus und Kotzt direkt über seinen Lenker
Was mache ich hier eigentlich?
In jeder Serpentiene mit Schatten stehen jetzt immer mehr Fahrer und machen Pause. In den bleichen oder roten Gesichtern sieht man alles von Angst bis Resignation. Je höher wir steigen, desto weniger Fahrer fahren und Rechts wird schon in 2er Reihe geschoben. Das finden ich und ein paar Engländer gar nicht lustig, da die Straße nur 5 Fahrer breit ist. Es droht ein Stau und somit der komplette Kollaps aller Fahrer. Es wird also „freundlichst“ darauf hingewiesen sich verdammt noch mal fair zu verhalten und nicht in 2er Reihe zu schieben. Das finden irgendwie alle fahrenden gut und schon bald wird von allen um mich herum ebenfalls auf die Ordnung geachtet. Mein Schläfenpochen kehrt bei der 1 Kilometer Markierung zurück. Mein Puls schon seit mehreren Minuten bei 180 Schlägen pro Minute.
In meinem Kopf nur: „Einen Kilometer! Jeder kann einen Kilometer Radfahren. Du auch!“
„Absteigen ist keine Option! Du hast hart trainiert. Denk an all die 30/30 Intervalle auf der Rolle. Hier hast du NIE auch nur ein Training abgebrochen. Du fährst das jetzt durch!“ Und so kommt es dann auch. Ich erreiche wirklich den Gipfel ohne Abzusteigen bei 40 Grad im Schatten. Warum mache ich das nochmal? Das soll Spaß machen? Gerade nicht.
An jedem Berg gibt es eine Verpflegungsstation mit Getränken. Nach den Abfahrten immer eine große Verpflegungsstation mit Essen und Reparaturstation, quasi ein Volksfest.
Schnell in die Abfahrt und im Tal in der Verpflegungstation Cola, Wasser und Essen. Ich esse sogar direkt etwas salzige Salami. Ich kann mir in diesem Moment selber nicht erklären warum, aber man soll ja auf seinen Körper hören. Gino wartet immer ein paar Minuten an den Gipfeln auf mich, da er etwas schneller ist als ich. Ricardo hingegen haben wir mit seinen 60 Kilogramm Systemgewicht am ersten Berg verabschiedet. Er ist nur 45 Minuten langsamer als Frank Schleck im Amateurrennen gefahren und an diesem Tag 9.
Col de Romme: 7,5 Kilometer 9% Steigung
Am Anfang ein fieser und steiler Berg. Immer noch 40 Grad. Die Sonne brennt erbarmungslos. Aber die Straße ist wenigstens breit und das Feld immer mehr auseinandergezogen. So habe ich Platz mein Tempo zu fahren. Ich fahre im Bummeltempo mit 220 Watt den Berg hoch. Einen Kreislaufkollaps will ich nicht riskieren. Das sehe ich nun fast alle 50 Meter. Fahrer liegen im Schatten neben ihren Rädern. Es klappt gut. Natürlich schmerzen 75 Minuten Klettern ohne Pause und mit wenig Schatten. Aber Absteigen, so habe ich es mir vorher geschworen, ist in den Anstiegen keine Option. Und dann fahre ich neben Kate. Eine Engländerin, schlank, aus London (Luton). Sie ist mit ihrem Mann und ihrem Vater dort und beide sind viel schneller als sie. Wir kommen ins Quatschen und somit haben wir beide die ersehnte Ablenkung gefunden. Am Gipfel bedankt sie sich bei mir. Ich weiß bis heute nicht warum. Ich habe auch gelitten. Gino muss hier wesentlich länger warten. Im flachen Zwischenstück zum Romme hatte ich nochmal Lust richtig schnell zu fahren. Gino im Windschatten. Nach dem #Ballern sind mein Beine nicht mehr ganz frisch ;-).
Col de la Colombiere: 7,3 Kilometer bei 9%
Jetzt kenne ich das Spiel mit der Hitze schon. Eine Wasserflasche reines Wasser zum kühlen von Füßen und Kopf und eine Flasche mit meinem erprobten Malto:Fruktose:BCAA:Arginin:Salz Gemisch.
Die Sonne drehte gefühlt sogar nochmals auf. Alle die den Colombiere mal gefahren sind oder die Tour gesehen haben kennen vielleicht die Stelle, wo man zum ersten mal die Hütte am Ende des Anstiegs sehen kann. Dieses Gefühl ist unfassbar. Ja es sind noch ca. 3 Kilometer bis zum Ziel. Aber da war die HÜTTE! Und dann kommt, genau in diesem wunderschönen Moment, ein angenemer Wind von vorne auf. Jetzt kann nichts mehr schiefgehen. Am 2 Kilometerschild treffe ich wieder auf Kate die sichtlich leidet. Also etwas rausnehmen und quatschen. Und siehe da. Wir schaffen es tatsächlich zusammen den Colombiere zu bezwingen. Ja, auch an diesem Anstieg muss Gino wieder etwas länger auf mich warten. Ich war einfach platt. Platt aber glücklich. Unfassbar glücklich.
Endlich bergab ins Ziel
Auf der Abfahrt kann ich meine Erleichterung es wirklich bei der Hitze und den Höhenmetern, mit meinem Gewicht geschafft zu haben nicht mehr zurückhalten. Ich weine hemmungslos vor Freude und Erleichterung. All die Menschen die mir wichtig sind gehen durch meinen Kopf und ich will nur noch meine kleine Familie umarmen, meiner Frau unendlich Danke für die Unterstützung sagen und nie wieder so lange Berge fahren.
5 Tage danach
Irgendwas in mir denkt schon wieder daran solch eine Tour zu fahren. Jedoch dieses mal ohne 10 Stunden An- und Abreise. Flach wäre schön. Gerne auch 200 Kilometer, aber dann nur #Ballern. Auch gerne im Regen. Mal sehen was da noch so passiert. Jetzt geht es erstmal mit der Familie in die Elternzeit aufs Segelboot. Entschleunigen.