El Piri 2025

von Stephan Koller
Es ist 06.00h früh am 14.06.2025 und ich stehe mit weiteren 130 Fahrer*innen am Start des Gravel-Events El Piri in Girona. Die Streckendaten: 771,70 km und 18351 Höhenmeter, teils auf Asphalt teils auf Schotter, geht es durch die Pyrenäen. Diese Zahlen sind für mich noch nicht so richtig greifbar und erst in den nächsten Tagen wird mir klar werden, was das für mich bedeutet. Es ist mein erstes Ultra Distance Event und ich bin gespannt wie ich mich schlagen werde.
Der Startschuss fällt und 30 Fahrer*innen in Zweierteams gehen unter Applaus auf die Strecke, 5 Minuten später starten die Frauen und weitere 5 Minuten später ist es soweit und ich rolle mit weiteren Fahrern dem Abenteuer entgegen.
Das Tempo steigt und es dauert nicht lange und ich befinde mich im Race Modus, überhole die ersten vor mir gestarteten Fahrer. Laut Reglement darf nicht im Windschatten gefahren werden und so bin ich bald alleine in den ersten Ausläufern der Pyrenäen unterwegs. Schnell wird mir klar, Spanischer Gravel entspricht in Deutschland einer MTB Strecke:        Kopfgroße Steine zieren den Weg, dazwischen loser Sand, ich muss mich konzentrieren nicht zu stürzen oder einen Platten einzufahren. Der Tag schreitet voran und ich finde meinen Rhythmus, nur nicht überziehen.
Bei 30 Grad gehen als bald meine Wasserreserven zur Neige und da trifft es sich gut dass ein öffentlicher Brunnen in einer kleinen Stadt auf der Strecke liegt. Anhalten, Trinkrucksack vom Rücken, Wasser rein und wieder weiter. Das Ganze dauert keine 5 Minuten. Race Modus. Ich fliege dem Ziel entgegen, ich fühle mich gut. Ein Schluck Wasser aus der Trinkblase. Was zum Teufel ist das? Chlor, Kalk? Die Brühe bekomme ich nicht runter, ich muss würgen. Natürlich weit und breit keine Möglichkeit neues Wasser zu bekommen und es beginnt der erste Pass.
Ich quäle mich den Schotterweg nach oben, bald wird es so steil, dass fahren keine Option ist, ich muss vom Rad und schieben. Es geht langsam aber stetig weiter, ich gebe nicht auf und nach 150 km erreiche ich ein Refugio, in dem ich Getränke und Essen bekomme. Nach 20 Minuten, drei Cola und zwei Broten, geht es wieder weiter. Mit der Dämmerung erreiche ich den Gipfel und es wird deutlich kühler. Der Himmel ist wolkenverhangen, zwischenzeitlich blitzt es entfernt und schemenhaft zeichnen sich die Berge ab. Verdammt ein Gewitter, nichts wie runter vom Berg. Im Tal erreiche ich ein weiteres Dorf und in einem alten Stall finde ich einen Schlafplatz. Unter einem Dach breite ich meinen Biwi Sack und die Daunenjacke neben dem Brennholzstapel  aus, Regenjacke, Arm- und Beinlinge werden angezogen und der aufgeblasene Trinkrucksack  dient als Kopfkissen. Nach 2,5 Stunden ist meine Nacht abrupt beendet…Während des Schlafens hat das Trinkventil nachgegeben und meine 2 Liter Wasser aus dem Trinkrucksack haben sich um mich ausgebreitet. Das meiste wurde von meiner Daunenjacke aufgesogen. Mist, kein Wasser und die Daunenjacke ist klitschnass. Was soll’s… wird eh wieder warm. Einpacken und weiter. In der Nacht überhole ich im nächsten Dorf Fahrer, die um den Brunnen herum auf Bänken liegen und schlafen. Wow, wieder ein paar Plätze gut gemacht.
Meine nächste Schlafpause möchte ich am Checkpoint nach etwa der Hälfte der zu fahrenden Distanz machen. Erst einmal liegt noch der höchste Pass der Route vor mir, 2300 Meter, natürlich auf Schotter. Es wird wieder dunkel als ich den höchsten Punkt des Passes erreiche, aber noch habe ich 30 km vor mir, bevor ich ausruhen kann. Nach einer gefühlten Ewigkeit in der Dunkelheit erreiche ich den Checkpoints, ein modernes Hostel,  und ein netter Mitarbeiter empfängt mich freudig. Für 10 Euro kann ich im Besprechungsraum im Keller auf einem Ledersofa schlafen. Die besten drei Stunden Schlaf der Tour! Vor der Weiterfahrt  erfahren ich, dass der Führende in den nächsten Stunden im Ziel erwartet  wird. WHAT??? Siegerzeit: 49 Stunden mit einer halben Stunde Pause…
Mein nächstes Etappenziel: Andorra. Ein Anstieg und eine Abfahrt weiter und meine Hinterradbremse gibt beim bremsen üble Geräusche von sich. Es ist kein Bremsbelag mehr auf den Klötzen und ich bremse mit Metall auf Metall. Im Radladen in Andorra wird mir sofort geholfen nachdem sie erfahren, dass ich El Piri fahre und eine halbe Stunde später bin ich mit neuen Belägen und Bremsscheibe wieder im Rennen. Pech nur, dass die Temperatur mittlerweile bei 38 Grad liegt und ich mich den nächsten Pass hochquälen muss. Es folgt eine Abfahrt und die Hoffnung im Tal wieder etwas zu Essen zu bekommen. Mittlerweile kann ich keine Gummibärchen mehr sehen und träume  von Pasta. Kurz vor 19.00h erreiche ich ein Dorf. Es ist Montag und alle Restaurants sind geschlossen.  Also gibt es wieder Brot mit Schinken, Käse, Mayonnaise und dazu ein paar Oliven.
Weiter geht es, ich möchte noch einen weiteren Pass überfahren bevor ich mich schlafen lege. Während der Auffahrt im Dunkeln glaube ich immer wieder Personen links und rechts der Strecke zu sehen. Ich kann kaum noch geradeaus fahren und meine Augen aufhalten, es nützt nichts, ich brauche Schlaf. Nach 20 Minuten wache ich am ganzen Körper zitternd auf, die Pause ist vorbei,        ich muss weiter. Auf der Abfahrt wird es immer kühler je tiefer ich komme. In der nächsten Stadt finde ich eine Bank deren Vorraum offen und warm ist. Perfekt. 20 Minuten Schlaf müssen reichen. Noch ein Pass und ich habe die hohen Berge hinter mir. Mit neuem Schwung gehe ich den letzten Pass an, ab jetzt geht es fast nur bergab.
Fast, es fehlen noch 600 Höhenmeter und knapp 100 km Distanz bis ins Ziel. Endspurt. Immer wieder erreichen mich Nachrichten, die mich motivieren durchzuhalten. Der Veranstalter fand es furchtbar witzig noch drei Anstiege mit bis zu 25 Prozent Steigung einzubauen. Ich bin am Ende, nichts geht mehr. Wieder sehe ich Personen am Wegesrand, die eigentlich nicht da sind.  Ich muss eine weitere Pause machen. So nah am Ziel und doch muss es sein. Fünf Minuten Augen zu,  Erholung  für die letzten 30 km.
Nach 3 Tagen, 9 Stunden und 9 Minuten bin ich am Ziel! Zurück in Girona! Es ist vorbei, ich habe es geschafft!
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Werde ich so etwas wieder fahren???
Auf jeden Fall!!!
So stay tuned
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