Ein Gravel Rennen ist kein Social Ride: Rennbericht 3Rides Gravel Race Aachen

von Torsten Püttmann

Schwül ist es. 27°C. Bin supernervös. Wollte früh im Startblock sein. Trotzdem schon alles voll. Alex wird nachher meckern, die frühe Anfahrt habe sich mal so gar nicht gelohnt.

Alle stapeln tief, sehen aber topfit aus

Am Horizont ziehen die vorhergesagten Gewitterwolken auf. Man trifft den ein oder anderen Bekannten, keiner ist fit, „will nur schauen was heute so geht, komme grad aus `ner Erkältung zurück…“. Alle sehen topfit aus.

Nervosität vor dem Start

Strecke ist bekannt, vor zwei Tagen noch mit Tobi abgefahren und für eher leicht befunden. Sollte also ein schnelles Rennen werden. Anderthalb Liter Wasser auf dem Rücken, Einliterflasche mit Carb-Drink am Rad, Gels und Riegel im Trikot im kalorischen Gegenwert einer Sahnetorte. Kette ist gewachst, Bremsen extra noch einmal am Vortag entlüftet, Reifendruck on point.

Noch wenige Minuten bis zum Start. Irgendwo drückt jemand einen Knopf und es beginnt zu schütten, alle fluchen. Schneller Start plus nasse Straße / Feldwege verheißt nichts Gutes.

Einige Blöcke vor uns sind schon gestartet, man hört den ersten Krankenwagen. Wir sind dran! Also vorrollen bis zur Startlinie. Es wird hektisch, alle versuchen ihre mit langem Warten (1h!) bezahlte Position im Feld zu halten (oder entsprechend zu verbessern (so wie ich)). Alles ist nass, Bremsen quietschen erbärmlich. Am Start warnt der Ansager eindringlich, die ersten Kurven nicht volley zu nehmen, es gäbe dort bereits einen Krankenwageneinsatz. Der Regen hört auf.

Start!

Alle sprinten los, nehmen die ersten Kurven volley, Positionen wechseln im Sekundentakt, die Beine schreien, der Puls springt auf 180 und rauscht im Kopf, von links und rechts rauschen Leute an einem vorbei, totales Chaos. Irgendwie geil. Aber halt auch sauhart, so mit komplett kalten Beinen. Bin gespannt, wie lange ich das Tempo mitgehen kann. Man sieht die ersten mit Defekt am Straßenrand.

Es geht von einem Feldweg links auf eine Hauptstraße. Will schlau sein, weil ich ja so geil die Strecke kenne, und fahre statt weiter im Windschatten des Hauptfelds auf den Radweg, weil ja kürzer. Davon weiß der Rest des Feldes nichts und strahlt auf der Straße weiter. Noch einer und noch einer und noch einer fährt an mir vorbei, ich drehe mich um und merke, dassich gerade Letzter bin. Und jetzt alleine voll im Gegenwind stehe, das Feld schon 20 Meter vor mir. Drücke drauf wie blöde, hole ein paar Leute ein, bin aber gefühlt schon alle, der Tacho sagt, nur noch 110Km.

Gravelracing, yeah! Hat was von einem Rausch

Wir rasen durch den Wald, über Schotterpisten, rumpelige Feldwege und Straßen. Dicke Staubwolken in der Luft. Gravelracing, yeah! Hat was von `nem Rausch. Man steckt mental im Tunnel, Fokus ist hoch, zu jeder Rennsituation, zu jedem Untergrund muss man sich irgendwie verhalten. Von vorne holt man Stück für Stück die Langsameren aus den Gruppen davor, von hinten rauschen nonstop die schnellen Fahrer aus den hinteren Altersgruppen vorbei. Fahren einem gerne auch mal in die eigene Fahrlinie. Bei Abfahrten schon mal tricky, bin froh über meine handling skills vom Cross.

Die ersten knackigen Anstiege. War das hier vorgestern auch schon so steil? Von jetzt auf gleich steht man am Berg, man ist froh über jeden der ein bisschen mehr leidet als man selber. Schussfahrt ins Tal. Knapp 60 auf dem Tacho. Ffffffuuuuuucccccckkkkkkkkkk! Vorderradbremshebel blockiert wieder, trotz Reparatur, ich verpasse die Rechtskurve und muss geradeaus auf den Bordstein und in die Hecke. Neben mir steht die Frau vom Roten Kreuz und schüttelt den Kopf. Recht hat sie. Bremse wieder gelöst, weiter geht´s. Selbstbewusstsein bei Abfahrten ist allerdings dahin.

Es wird zunehmend hügeliger, und fühlt sich bei weitem nicht so gut an wie beim Recon. Drücke mir brav alle 20 Minuten Gels und Riegel rein, Wasser drauf, irgendwie verdampft alles auf dem Weg in die Beine. Rumpeliger Feldweganstieg, Gänge keine mehr übrig. Von hinten hört man eine größere Gruppe heranfahren, es wird sich angeregt unterhalten und gelacht. Die Profis! Alle sehen sehr gut aus, Anstrengung bei keinem zu spüren. Und sind auch schon wieder weg.

Daumen hoch vom und für das Aachener Publikum

Die Route ist eine ausgewogene Mischung aus Gravel und längeren Straßenstücken, ist gut ausgeschildert und deutlich besser gesichert als im letzten Jahr. Keine Sonntagsausflügler im Rennen, Abzweige sind rechtzeitig zu erkennen, an neuralgischen Punkten sind Helfer in Position.  An der Strecke stehen regelmäßig Anwohner und klatschen, absolute Wohltat, weil kurze Ablenkung von Kopf und zunehmend miesen Beinen. Bedanke mich mit Daumen hoch, was für noch mehr Jubel sorgt. Keine Spur von der kolportierten ablehnenden Haltung der Bevölkerung gegenüber Radrennen vor ihrer Haustür. Vielleicht stehen die Ablehner aber auch daheim hinter der Gardine und zeigen uns den Finger.

Ein krank matschiges längeres Waldstück, sieht aus wie in einem Crossrennen, komplett zerlegt und nur ganz weit am Rand ansatzweise mit Stil fahrbar, dazu auch noch superrumpelig, saugt die Beine leer. Und den Kopf. Ich fluche laut hörbar in den Wald hinein.

Wenn du dein eigener Wasserträger bist

Wieder ein steiler Anstieg auf Asphalt, überall stehen Helfer der Teams rum und reichen Flaschen, was eigentlich nur an wenigen Stellen erlaubt ist, juckt aber scheinbar keinen. Großer Nachteil für alle ohne Team (wie mich), die Wasser für´s ganze Rennen mitschleppen.Gleich geht´s auf den Vennbahnradweg, kenne ich ja vom Recon. Pustekuchen! Es geht auf den Grünstreifen NEBEN dem Radweg, knapp anderthalb Kilometer. Für den gleichen Speed braucht´s fünfzig Watt mehr. Tut weh, aber überhole einige Leute. Die einen dann aber oft auch wieder ein- und überholen, beim Graveln hat jeder so seine Stärken und Schwächen.

Erste Runde geschafft Jetzt das Ganze jetzt nochmal?

Erste Runde geschafft, und wie bei jedem Mehrrundenevent kommt kurz der Gedanke „Und das Ganze jetzt nochmal?“ Diesmal setzt sich der Gedanke fest, die Beine sind aus Beton, ich kriege massive Selbstzweifel und ertappe mich bei Kilometer 65 (von 120 dabei), eine Abkürzung zurück zum Start auf dem Tacho zu suchen. Eigener Name plus DNF in der Ergebnisliste, will ich das? Übers Grübeln ziehen die Kilometer dahin, es bleibt zäh und nicht heldenhaft leicht wie erträumt. Der Wasservorrat neigt sich entgegen der Berechnung schon dem Ende zu, die nächste Verpflegung ist erst im Ziel, und der Gedanke an Gels verursacht leichte Ablehnung im Körper.

Flunkern die Elitefahrer als Renntaktik?

Derbes Schotterstück bergauf im Wald. Gerade stand noch Marcel Kittel mit Defekt am Rand. Sieht selbst als Rentner immer noch sehr gut aus, der Mann. Drücke mich irgendwie dieses Ding hoch, Tacho sagt immerhin noch 260 Watt. Zwei Elitefahrer überholen mich langsam, der eine sagt „bin leer, schaff keine 250W mehr.“ Ist definitiv nicht leichter als ich, ich vermute Flunkern als Renntaktik. Ich warne seinen Kollegen, alle lachen, und schon bin ich wieder allein.

2. Runde: durchhalten

Alle Anstiege sind in Runde zwei doppelt so hart und doppelt so lang. Die Gravelpassagenfordern alles an Konzentration, trotzdem rumpelt man deutlich öfter abseits der Ideallinie durch dicke Löcher oder nimmt Kurven mit mehr Randstreifen. Gefährliche Phase im Rennen. Die Müdigkeit in allen Körperteilen inklusive Kopf führt zu Fehlern, man schweift gedanklich ab. Jetzt hilft nur aktiv an gute Form erinnern. Fahre die letzten Kilometer mit einem abgehängten Elitefahrer, der auch sehr müde wirkt, kreiseln sogar ein bisschen. Auf einer steilen Schotterabfahrt brettert er in Führung voll durch ein Loch, es knackt laut vernehmlich in seinem Rad. Er bremst, kommt irgendwie zum Stehen, ich fahre weiter. Im Ziel sehe ich ihn später mit abgebrochener Sattelstütze in der Hand rumlaufen.

Durchgekommen, WM-Qualifikation leider verpasst und total kaputt: das mache ich nie wieder. Vielleicht ab übermorgen wieder

Das Ziel erreiche ich dann also auch, bin froh durchgekommen zu sein, aber auch derbe enttäuscht, da WM-Qualifikation wieder verpasst. Reiße aus Quatsch die Arme hoch, mein Zielfoto sieht mindestens nach Gesamtsieg aus. Dann stehe ich im Zielbereich rum und fühle mich wie nach ´nem saftigen Filmriß. 4 Stunden Staub, Gerüttel und Schmerzen sind beendet, mache ich nie wieder. Also heute und morgen, dann schauen wir mal.

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